Sonntag 18.12.2005
So gegen 4:00Uhr werde ich wach, es ist ruhig, auch von der Strasse her hört man fast nichts und wir sind immerhin direkt am Broadway. Ich stehe auf und gehe ans Fenster, gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich ein Supermarkt, ich sehe wie sich dort drinnen Menschen bewegen, sollten die denn so früh schon mit der Arbeit beginnen?
Es ist doch heute Sonntag. Ich schaue auf meine Uhr, es ist 4:35 Uhr. Mein Blick geht zum Himmel und sehe einige Sterne, es sind also keine Wolken da. Gott sei Dank es regnet nicht
und ich lege mich noch einmal hin.
Um 8:00Uhr sitzen wir gleich neben unserem Hotel in einem kleinen Cafe und frühstücken ausgiebig. Alles ist okay mit einer Ausnahme, der Kaffe schmeckt grausam. Wir wollen in die Abyssinian Baptist
Church nach Harlem in die 138th Street zur Gospelmesse.
Vor dem Cafe steht ein Taxi, der Fahrer, ich glaube ein Inder, lehnt die Fahrt nach Harlem ab, nur bis zur 130th Street will er fahren, zu gefährlich sagt er, ich bin baff, wir
wollen doch nicht in die Bronx und ich sage dem Fahrer "okay, wir finden einen anderen Weg". Er fährt fort und da hält schon der Nächste, direkt vor unserem Hotel, der Fahrer mit
schwarzer Hautfarbe schlürft genüsslich an seinem riesigen Kaffeebecher.
Ich frage nach der 138sten und er sagt, ah, Abyssinian Baptist Church, no Problem. Ich frage nach dem Preis, er überlegt kurz und sagt, ca. 15 $ und wir steigen ein. Ich erzähle ihm von seinem
Kollegen und dessen Absage. Er sagt uns, dass einige keine Black Men fahren wollen weil sie vielleicht mal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Er ist ganz nett und sein Taxameter bleibt bei 12,40$
stehen. Ich gebe ihm 15$ und sage it's okay und er bedankt sich und wünscht uns noch einen schönen Tag.
Den haben wir dann auch, aber zuerst einmal heißt es Schlange stehen, denn vor der Kirche warten ca. 50 Menschen. Es ist kurz vor 9 und vor einer Kirche habe ich noch nie in einer
Schlange gestanden. Die Schwarzen, die sich der Kirche nähern brauchen nicht in die Schlange, sie sind Mitglieder, wie wir später erfahren und dürfen sofort in die Kirche.
Mir fällt auf, das diese Leute sehr, nein verdammt gut angezogen sind, wie aus dem Ei gepellt, aber so was von schick da bin ich platt, ich dachte die gehen in die Oper, nur Pelzmäntel und
allerfeinster Zwirn, Mensch, was haben die sich fein gemacht, ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Dann endlich dürfen auch wir in die Kirche. Höflich aber bestimmt werden wir darauf
hingewiesen, dass Fotografieren und Filmen drinnen verboten ist und wenn wir die Menschen auf der Strasse ablichten wollten, dann sollen wir sie doch vorher um Erlaubnis bitten. Das finde ich in
Ordnung.
Die Kirche sieht von außen ganz normal aus aber drinnen, halli hallo, mein lieber Kokoschinski, aber alles nur vom Feinsten. Der Altar befindet sich in einem Meer aus Weihnachtssternen und mittendrin
steht der Pastor Butt und spricht zu den Mitgliedern. Er spricht über Gott und die Welt, gratuliert den anwesenden Geburtstagskindern, macht Witze und bringt die Leute in der Kirche immer wieder zum
lachen. Er reißt die Menschen in der Kirche von den Bänken, sie lachen, sie klatschen, sie sind hin und her gerissen, es ist einfach sagenhaft und so etwas habe ich noch nie vorher gesehen.
Ich bin katholisch getauft und von meiner Oma und meiner Mutter, katholisch erzogen worden, glaube an Gott und habe so meine Probleme mit "der katholischen Kirche" und hier wäre ich am liebsten Baptist geworden.
So muss man eine Messe feiern, ja, die Menschen haben dort gefeiert, es war ein Erlebnis für sie und ich durfte dabei sein.
So sollte das auch bei uns "Katholiken" sein, dann würden hier auch die Menschen in Warteschlangen vor den Kirchen stehen und ich würde auch jeden Sonntag meinen allerbesten Anzug
anziehen und mich auf die Messe freuen. Der Organisation in dieser Kirche und dem Ablauf der Messe erteile ich die Note 1, aber eine 1 mit 3 Sternen.
Der Chor hinter und über dem Altar war ebenfalls sagenhaft und so manche "Sänger" würden wohl gerne eine solch schöne Stimme haben wollen.
Nach der Wandlung nahmen sich alle bei der Hand und so wurde eine lange Kette gebildet, neben mir saß ein schwarzer (ca. 25-30 J.) und der hat sich nicht getraut meine Hand zu nehmen, da habe ich
eben die seine genommen und er hat sich darüber gefreut.
Die Kommunion habe ich meiner Mutter und meiner Oma gewidmet. Das war ganz anders als bei uns denn die Hostien wurden auf einem silbernen Tablett durch die Reihen gereicht und man
konnte sie sich selbst nehmen, kurze Zeit später gab es dann noch auch wieder, auf silbernem Tablett, für jeden noch ein Gläschen, ich glaube es war Traubensaft an Stelle des Blutes.
Ich habe noch nie in einer Kirche so gelacht wie an diesem 4. Adventssonntag und als eine der Gospelsängerinnen bei einem Solo das Weihnachtslied "O Holy Night" gesungen hat, da sind mir
ganz dicke Tränen über mein Gesicht gelaufen... und ich war bei weitem nicht der Einzige der da geweint hat, die meisten haben anschließend ihr Taschentuch gesucht...
Als wir die Kirche verlassen, warten draußen schon wieder hunderte von Menschen meist schwarzer Hautfarbe auf Einlass und ich kann sie nur zu gut verstehen. Das war für mich wirklich ein Auftakt
unserer Reise wie ich ihn so nicht erwartet hatte denn heute ist ja eigentlich unser erster Tag hier in New York.
Wir spazieren, bei strahlend blauem Himmel, noch etwas durch Harlem, vor diesen Menschen braucht man wirklich keine Angst zu haben, der erste Taxifahrer sollte sich schämen.
Wir wollen zur Metrostation und fragen zweimal nach dem Weg, die Menschen die wir fragen sind schwarz, sie sind freundlich und hilfsbereit und wir fühlen uns wohl hier.
Dann geht es mit der Metro zum New York City's Official Visitor Information Center, 810 Seventh Avenue, 52nd & 53rd Street. Dort gibt es jede Menge
Informationsbroschüren. Die Mitarbeiter dort waren sehr nett aber die allermeisten Infos hatte ich schon über unser Amerika Forum erhalten. Dort erhalten wir auch unseren Hop on, hop off Bus Pass.
Auch hier haben wir wieder Glück, denn der Pass ist eigentlich nur für zwei Tage gültig. Wir unterhalten uns eine kurze Zeit ganz nett mit dem Mitarbeiter von Gray Line und der schreibt uns einen
zusätzlichen Tag auf unsere Tickets und so können wir bis Mittwochmittag die Busse benutzen und auch schon gleich damit anfangen, na Super und Dankeschön.
Wir sind dann erst einmal zum Essen in ein Deli gegangen. Das Essen war gut und auch nicht zu teuer. Anschließend ging's dann zum Empire State Building, doch als wir die Warteschlange mit
hunderten von Menschen sehen (3,5 Stunden Wartezeit so sagte man uns) nein Danke, morgen ist auch noch ein Tag und weiter geht es zum Times Square, unsere Tochter kam aus dem Staunen nicht mehr
raus.
Wir schauen uns alles an und ich höre wie meine kleine Tochter (sie ist zwar schon bald 16 und schon jetzt größer als meine Frau, aber für mich ist sie meine kleine Tochter) sagt: "Papa, jetzt
kann ich auch deine Gefühle verstehen die du hattest als du zum ersten Mal hier gestanden hast". Ich habe ihr so oft davon erzählt aber das kann man nicht beschreiben, das muss man erleben und
jetzt hat sie's erlebt und ist genau so begeistert wie ich es am 23.03.1997 war.
Weiter geht's und nach vielen anderen Sehenswürdigkeiten kommen wir zum Ground Zero, es ist schon dunkel und das macht mir mein Herz vielleicht noch schwerer.
Hier war meiner Frau und mir bei unserem Besuch 1997 die Zeit ausgegangen und wir waren "nur" auf dem Emphire State Building und fürs WTC hat's zeitlich nicht mehr gereicht.
Im Juli 2000 war ich dann noch einmal beruflich, zusammen mit einem Kollegen, hier und als der mich fragte, ob ich denn nicht mal mit ihm da rauf wolle, habe ich ihm geantwortet, dass ich das bei
meiner Reise zu meinem 50sten im März 2002 zusammen mit meiner Frau und meinen Kindern machen möchte... und jetzt stehe ich hier vor einem riesengroßen Loch...
Wie ein Film läuft es vor meinem geistigen Auge ab, was am 11. September 2001 geschah und ich sehe es als würde es jetzt hier passieren, ich höre den Kameramann, der einen einfachen Feuerwehreinsatz filmt und nur rein zufällig den Einschlag des ersten Flugzeuges in den nördlichen Tower filmt. Oh, Shitt ruft er, ich dachte es sei eines dieser Touristenflugzeuge gewesen und das der Pilot vielleicht einen Herzinfarkt erlitten habe. Da bei uns Feiertag ist, sitze ich vor dem Fernseher und warte auf Neuigkeiten, die Nachrichten haben gerade erst begonnen es ist kurz nach 3 und ich sehe in einer Direktschaltung wie ein großes Flugzeug mitten durch die Stadt fliegt und wundere mich noch, das so etwas überhaupt erlaubt ist und in diesem Moment fliegt es in den südlichen Turm und ich dachte mein Herz bleibt stehen, das gibt es doch nicht, das kann doch gar nicht sein, ich erlebe das heute alles noch einmal und es berührt mich heute noch genauso wie an diesem furchtbaren 11.September. Diese Bilder werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen können.
Ich sehe wie Menschen aus den Fenstern in den sicheren Tod springen. Was muss in diesen Menschen vorgegangen sein... Ich sehe den Südturm, wie er einstürzt und kurze Zeit später
den nördlichen Turm zusammenbrechen. Eigentlich will ich es ja auch heute noch nicht wahrhaben aber vor mir liegt ein großes Loch und das World Trade Center ist nicht mehr da.
Wie können Menschen nur so etwas tun? Ich habe am 11.9.2001 gezittert und genauso zittert heute alles in mir, und jetzt wo ich diesen Bericht schreibe geht es mir nicht anders. Geht das denn nie
vorbei?
Gegenüber der Feuerwehrwache hat man für die verunglückten Feuerwehrleute auf Ground Zero einen Weihnachtsbaum aufgestellt und ihn mit deren Fotos und persönlichen Gegenständen geschmückt es zerreist
mir fast das Herz...
Es hat mich doch einiges an Nerven gekostet diese letzten Zeilen zu schreiben und fast hätte ich sie wieder gelöscht, aber ich will in meinem Reisebericht auch meine Gefühle
beschreiben, Gefühle die mir an einigen Orten unserer Reise ganz schön zu schaffen machten. Und in meinen Bericht gehört das einfach nun mal rein und deshalb bleibt es drin!
Wir gehen bis ans Ufer des Hudson River und sehen hinüber nach New Jersey und ganz weit hinten auf Liberty Island, da sehen wir die Freiheitsstatue und irgendwie kommt wieder Hoffnung auf, Hoffnung
nach einer Welt von der John Lennon in seinem Lied "Imagine" träumte und es stimmt, hi is not the only one.
Wir fahren zurück ins Hotel, für heute war's wirklich genug.
Ende Tag 02
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